Eckpunktepapier

Ernährungssicherheit & bezahlbare Lebensmittelpreise

Die Ernährungssicherheit ist nicht zuletzt durch den völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine zunehmend auch zu einer sicherheitspolitischen Frage geworden. Die Land- und Ernährungswirtschaft einschließlich der vor- und nachgelagerten Bereiche gehört deshalb zu den Kritischen Infrastrukturen. In Krisenzeiten ist der Schutz und die Versorgung der Bürger eine hoheitliche Aufgabe, die sich verfassungsrechtlich aus der allgemeinen Verteidigungsaufgabe des Staates und der staatlichen Pflicht zur Daseinsvorsorge für die Bevölkerung ableiten lässt. Eine der elementarsten Komponenten der Daseinsvorsorge ist dabei die staatliche Ernährungsvorsorge (Zivile Notfallreserve und die Bundesreserve Getreide), mit der im Notfall die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gewährleistet werden soll.

Gerade in Krisenzeiten benötigen wir eine starke und leistungsfähige heimische Land- und Ernährungswirtschaft, um uns vor Lebensmittelknappheiten zu bewahren und vor neuen Importabhängigkeiten zu schützen. Deutschland ist ein landwirtschaftlicher Gunststandort mit fruchtbaren Böden und ausreichend Niederschlag. Die moderne deutsche Landwirtschaft versorgt uns mit hochwertigen Grundnahrungsmitteln. Neben den tierischen Produkten werden vor allem Brotgetreide, Kartoffeln, Zuckerrüben, Ölsaaten, Obst und Gemüse angebaut. Sie leistet darüber hinaus einen zunehmenden Beitrag für die Energie- und Rohstoffversorgung. Der Selbstversorgungsgrad für Grundnahrungsmittel lag in Deutschland zuletzt nur noch bei durchschnittlich 80 Prozent, (ohne Erzeugung aus Auslandsfutter) beziehungsweise 88 Prozent (mit Erzeugung aus Auslandsfutter). Wohlgemerkt können diese Ergebnisse auch anders ausfallen, wenn beispielsweise schlechte Wetterverhältnisse, Betriebsmittelengpässe o.ä. zu Ernteeinbußen führen. Das bedeutet, dass wir bereits heute einen nicht unerheblichen Teil unserer Nahrungsmittel importieren müssen, um den Bedarf decken zu können. Hingegen ist Deutschland bei Obst und Gemüse von Importen abhängig. Insbesondere bei Obst (36%), Gemüse (20%), Fisch (19,5%) und Eiern (73%) herrscht eine deutliche Unterversorgung[1]. Umso unverständlicher ist vor diesem Hintergrund, dass EU und Bund in immer kürzeren Abständen neue produktionseinschränkende Maßnahmen und Auflagen für die Landwirtschaft beschließen. Dabei ist gerade jetzt in der Krise eine möglichst hohe Eigenversorgung wichtig. Je höher unsere landwirtschaftliche Produktion ist, desto weniger sind wir auf Nahrungsmittelimporte aus dem Ausland angewiesen. Letztendlich tragen wir dadurch auch dazu bei, dass die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel bezahlbar bleiben.

Bäuerliche Familienbetriebe sind die Grundlage für die Sicherung der Lebensmittelversorgung in Deutschland. Sie sind es aber leider auch, die durch die enormen Kostensteigerungen für wichtige landwirtschaftliche Betriebsmittel wie Dieselkraftstoff, Dünge- und Futtermittel in eine überaus schwierige wirtschaftliche Lage geraten sind. Zwar sind auch die Erzeugerpreise bei einigen wichtigen landwirtschaftlichen Produkte gestiegen, das reicht aber bei weitem nicht aus, um die zusätzlichen Kosten kompensieren zu können. Die meisten Bauern zahlen drauf und für viele geht es um die Existenz. Dazu beeinflussen die zunehmenden Liquiditäts- und Cashflow-Probleme auf den Betrieben die Produktions- und Investitionsentscheidungen, was wiederum Auswirkungen auf den Anbau und die Ernten hat. Wird aus Kosten- oder Verfügbarkeitsgründen beispielsweise weniger Dünger ausgebracht, dann sinken auch die Erträge. Um die Existenzen der bäuerlichen Familienbetriebe zu sichern und eine stabile landwirtschaftliche Produktion aufrechtzuerhalten, sind deshalb schnelle und spürbare finanzielle Entlastungen für die betroffenen Betriebe unerlässlich. Das ist darüber hinaus auch ein Beitrag, um den Lebensmittelpreissteigerungen und der Inflation entgegenzuwirken.

Auch die deutsche Ernährungswirtschaft ist insbesondere durch die explodierenden Energiekosten betroffen und steht vor einer existenziellen Bedrohung. Hinzu kommen teilweise gestörte Lieferketten, gestiegene Personalkosten und Rohstoffknappheit. Weil die Unternehmen diese enormen Kostensteigerungen nicht mehr länger durch Einsparungen oder die Weitergabe am Markt kompensieren können, haben viele bereits damit begonnen, ihre Produktion zu drosseln oder stillzulegen. Einige Unternehmen bereiten sich sogar auf eine mögliche Insolvenz vor. Bei weiteren Kostensteigerungen drohen nicht nur weitere Lebensmittelpreissteigerungen, sondern im schlimmsten Fall sogar Versorgungslücken bei der täglichen Lebensmittelversorgung und soziale Unruhen. Von den katastrophalen Auswirkungen, die eine anhaltende Gasmangellage auf die Lebensmittelproduktion hätte, noch gar nicht zu sprechen.

Auch die Transport-Branche hat zu kämpfen. Weil die meisten deutschen und europäischen Düngerhersteller aufgrund der explodierenden Gaspreise ihre Produktion kurzzeitig drosseln oder stilllegen mussten, ist der Abgasreiniger AdBlue, der ein Nebenprodukt der Stickstoffdüngerproduktion ist, derzeit knapp. Sollte es dazu kommen, dass AdBlue gar nicht mehr verfügbar wäre, dann würde der komplette Warentransport zusammenbrechen, außer die Politik würde eine Umprogrammierung der LKW erlauben. Das macht deutlich, dass die Aufrechterhaltung der Stickstoffdüngerproduktion in Deutschland nicht nur für die heimische Landwirtschaft von besonderer Wichtigkeit ist.

Wegen den Teuerungen bei Lebensmitteln gestaltet sich der Einkauf für immer mehr Menschen zur finanziellen Belastungsprobe. Die Tafeln verzeichnen einen immensen Zulauf. Weil die Lebensmittelspenden aus dem Einzelhandel jedoch zurückgehen, müssen immer mehr Tafeln einen Aufnahmestopp verhängen.

Um die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln zu gewährleisten und weiteren Lebensmittelpreissteigerungen entgegenzuwirken, fordern wir daher die Umsetzung der folgenden Maßnahmen:

1. Ausweitung des Energieangebots

Die explodierenden Energiekosten belasten nahezu alle Unternehmen in der Lebensmittelkette und sind maßgeblich verantwortlich für die starken Preisanstiege bei Lebensmitteln. Um die Energiepreise zu senken und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen der Land- und Ernährungswirtschaft wiederherzustellen, werden wir deshalb das Energieangebot massiv ausweiten. Dazu gehört insbesondere der Weiterbetrieb der verbliebenen drei Kernkraftwerke sowie die Wiederinbetriebnahme der drei bereits abgeschalteten. Heimische fossile Energieressourcen wie Erdgas und Kohle müssen erschlossen und genutzt werden. Auch die Landwirtschaft kann in Form von Biogas und Biokraftstoffen einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Flächenstilllegungen im Wald lehnen wir ab. Die energetische Holznutzung muss weiterhin möglich bleiben und darf nicht eingeschränkt werden.

2. Aufrechterhaltung einer stabilen und sicheren landwirtschaftlichen Produktion

Die bäuerlichen Familienbetriebe benötigen schnelle und spürbare finanzielle Entlastungen, um die stark gestiegenen Betriebsmittelkosten kompensieren und ihre Produktion aufrechterhalten zu können. Neue produktionseinschränkende Maßnahmen und Auflagen für die Landwirtschaft sowie die Stilllegung fruchtbarer Acker- und Grünlandböden lehnen wir ab. Auch eine nicht nachfragegetriebene Ausweitung des ökologischen Landbaus erscheint nicht sinnvoll. Stattdessen sollten die landwirtschaftlichen Erträge nachhaltig und ressourceneffizient gesteigert werden. Den Abbau der Nutztierbestände in Deutschland lehnen wir ebenfalls ab, weil es dank der Nutztierhaltung ganzjährig hochwertige eiweißreiche Lebensmittel sowie wertvollen Wirtschaftsdünger gibt. Die bedarfsgerechte Düngung und ein bedarfsgerechter Pflanzenschutz nach guter fachlicher Praxis müssen auch weiterhin möglich bleiben.

3. Unterstützung der Tafeln und Reduzierung vermeidbarer Lebensmittelabfälle

Um die Tafeln zu unterstützen, sollen weitere Anreize für Lebensmittelspenden aus dem Einzelhandel geschaffen werden, indem diese steuerlich erleichtert und Haftungsrisiken abgebaut werden. Durch die Förderung von KI-Technologien ergeben sich weitere Potentiale für den Lebensmitteleinzelhandel, um mit überschüssigen Lebensmitteln effizienter umzugehen. Außerdem könnte eine Vereinfachung der Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse dabei helfen, dass weniger Lebensmittel schon vor Erreichen des Handels für die menschliche Ernährung verloren gehen.

4. Staatliche Ernährungsvorsorge

Die Zivile Notfallreserve und die Bundesreserve Getreide waren ursprünglich dafür konzipiert, in einem Krisen- oder Verteidigungsfall im Inland auftretende Versorgungsschwierigkeiten und -störungen zu überbrücken. Im Notfall sollten die Einwohner der Ballungsgebiete 30 Tage lang mit einer warmen Mahlzeit versorgt werden können. Inzwischen wurden die Bestände jedoch deutlich reduziert und eine Vollversorgung der Bevölkerung kann über einen vergleichbaren Zeitraum mit den derzeit vorgehaltenen Mengen nicht mehr sichergestellt werden. Es sollte deshalb geprüft werden, ob und wie die Notreserven ausgebaut werden können, um auf die Versorgung der Bevölkerung im Notfall bestmöglich vorbereitet zu sein.

(1) Selbstversorgungsgrad mit ausgewählten Agrarerzeugnissen in Deutschland im Wirtschaftsjahr 2020/21