Antrag

Wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ehemaliger Bundestagsabgeordneter

Berlin, 14. Dezember 2022. Das Kriegsende 1945 und die darauffolgende Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wurden häufig mit dem Begriff der „Stunde null“ in Verbindung gebracht. Heute gilt es jedoch in der historischen Forschung als unstrittig, dass beispielsweise in der Wirtschaft, dem Justizwesen und Universitäten personelle und strukturelle Kontinuitäten zum NS-Regime keine Ausnahme darstellten. Bereits in den 1990er Jahren stellten sich große deutsche Unternehmen wie die Deutsche Bank, Volkswagen oder Degussa der Aufgabe, ihre eigene Firmengeschichte in der Zeit zwischen 1933 und 1945 offen zu legen. Auch in der Politik hat sich der Aufklärungswille in eigener Angelegenheit vergrößert.

So hat der Niedersächsische Landtag 2012 als erste deutsche Legislative und mit Unterstützung aller Fraktionen1 eine Studie veröffentlicht, die die NSVergangenheit von allen ehemaligen Abgeordneten wissenschaftlich untersucht. Auch der Hessische Landtag und die Bremer Bürgerschaft (beide 2014) sowie der Schleswig-Holsteinische Landtag (2016) haben wissenschaftliche Studien publiziert, die der nationalsozialistischen Verstrickung früherer Landtagsmitglieder nachgehen. In Niedersachsen und Bremen wurde damit die „Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen“ beauftragt, in Hessen berief der Landtag dafür die „Hessische Historische Kommission“ und in Schleswig-Holstein wurde die Untersuchung dem Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte der Europa-Universität Flensburg überantwortet. Die Ergebnisse der historischen Kommissionen der Länder haben auch NS-Verstrickungen von Bundestagsabgeordneten offengelegt, da ehemaligen NSDAP-Mitgliedern der Aufstieg vom Landtag in den Bundestag gelang. Dass es solche Verstrickungen gab, erlangte schon 1964 mediale Aufmerksamkeit, als der Spiegel von den Vorwürfen gegen den ersten Direktor des Bundestages berichtete. 3 Auf Bundesebene wurde ab 2005 die Erforschung der nationalsozialistischen Vergangenheit des Auswärtigen Amts, des Innenministeriums, des Wirtschaftsministeriums und weiterer Bundesministerien und Bundesbehörden vorangetrieben. Der Bundestag hat es jedoch bisher unterlassen, eine wissenschaftliche Aufarbeitung personeller und struktureller Kontinuitäten bei Bundestagsabgeordneten und der Bundestagsverwaltung in Auftrag zu geben. Ein Antrag der AfD auf Untersuchung der nationalsozialistischen Vergangenheit seiner Mitglieder und Verwaltungsangestellten wurde in der letzten Legislaturperiode mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt (vgl. Bundestagsdrucksache 19/29308). In den Augen der Antragsteller besteht mit Blick auf die Verstrickungen späterer Abgeordneter und Verwaltungsmitarbeiter des Deutschen Bundestages mit dem NS-Regime nach wie vor eine erhebliche Forschungslücke. Mit dem Auftrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung anerkennt der Bundestag seine gesellschaftliche und erinnerungspolitische Verantwortung.

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